St. Michaelis
St. Michaelis Kirche in Lüneburg
Volumen und Symbolik
(Siehe auch die Videos durch anklicken der Bilder oben)
Fast seit der Grundsteinlegung im Jahre 1376, in jedem Fall aber seit der Fertigstellung des Turmes 1434 sackt die Kirche kontinuierlich ab. In den ersten Jahrhunderten stellt dies ein rein statisches Problem dar; die Schräglage war nicht bedrohlich und wirkt sich nicht symbolisch aus.
Im Zuge der Reformation erhält das Wort eine höhere Gewichtung als das Symbol, die Musik eine höhere als die darstellende Kunst.
Folglich erhält Sankt Michaelis im Jahre 1602 eine neuen Kanzel und anno 1708 eine neue Orgel.
Die ursprünglich am Ende der Nordwand aufgestellte Orgel wird nun gegenüber dem Altar aufgestellt und damit gleichsam zu seinem Antagonisten.
Aus diesem Altar wurden zuerst 1644 Teile des Schatzes und 1698 bei einem weiteren Raub unter anderem die goldene Tafel gestohlen.
Da Reliquien nicht zum aufgeklärten Denken passten und die Zurschaustellung von Gold und Edelsteinen nicht zum Protestantismus, fiel es 1796 nicht mehr schwer, die Reste des Klappaltars mit den verbliebenen Reliquien zu verkaufen.
Der neue, bei weitem weniger gewichtige Altar, war der Orgel nicht mehr ebenbürtig.
Und mit dem Bild der Grablegung Christi wurde beinahe der Eindruck erweckt, der Einsturz der Kirche wäre unvermeidbar. Wollte man die Gemeinde subtil darauf vorbereiten, dass St. Michaelis der Prosperität der Stadt im Zweifelsfall geopfert würde?
Die Chance, ein symbolisches, den neuen Glauben repräsentierendes Gleichgewicht von Konzeption (Altar), Vernunft (Kanzel) und Emotion (Orgel) der Krängung des Schiffes entgegenzustellen, wurde damals offenbar nicht erkannt, und während die Turmseite des Schiffes zunehmend an Bedeutung gewann, verkümmerte jene der Apsis.
Bis zum klassizistischen Umbau, der die Teilung der Außenwände modellhaft unter der Orgel wiederholte und das Presbyterium demontierte, hielt diese Tendenz an.
Als die Setzungen hauptsächlich im nordwestlichen Teil der Kirche ein bedrohliches Ausmaß angenommen hatten, wurden statisches und symbolisches Ungleichgewicht offensichtlich in eins gesetzt, und was in der Apsis dem neuen Weltbild zur Geltung verholfen hatte, wurde nun auch hier angewandt, um den drohenden Untergang abzuwenden:
Alles symbolisch Schwere warf man nach und nach über Bord- was zwar weiterhin gut zum Glauben passte, die Absenkungen aber bestenfalls geringfügig verlangsamte.
Die Proportionen des Innenraums zu Altar, Kanzel und Orgel sowie deren Verhältnis zueinander gerieten dabei aus allen Fugen.
- Der neue Altar konnte die leuchtende Symbolkraft des Alten durch nichts ersetzen.
- Die Orgel war- auch dank des Aufenthalts von J. S. Bachs in St. Michaelis - zunehmend in den Mittelpunkt gerückt. Mit der kompletten Demontage ihres Unterbaus in zwei Schritten aber wurde sie aus dem Rahmen und damit aus ihren Sinnzusammenhang gerissen
- Die Kanzel wurde nach Osten verschoben- einerseits um sie vom Sog der Setzungen fernzuhalten, andererseits um die Leere in der Apsis zu verschleiern, fast erscheint sie heute als der Orgel Gegenüber.
Empore im 20. Jahrhundert
Nach einem klassizistischen Umbau erscheint die Innenfassade unter der Orgel bis ca. 1900 als eine modellhafte Darstellung der Außenwände.
Die Überlagerung mit der Säulenreihe mit einer notwendigen, wenn auch nur scheinbaren Reduktion der Höhe, ist dann der Grundgedanke einer ersten Auflösung des Unterbaus der Orgel.
Die fast völlige Auflösung erfolgte beim folgenden Umbau ca. 1950, wobei der Lastabtrag nunmehr über zwei dünne Stahlstützen erfolgt, die wohl mehr Notbehelf waren als gewollt: Die Last über die Hauptsäulen der Kirche abzutragen und die Orgel somit schwebend erscheinen zu lassen war ob der Säulen unkontrollierbarer Bewegungen wohl zu risikoreich.
Der infolge der Auflösungen zum Vorschein kommende, seltsam proportionierte Rundbogen erweist sich als zu klein, die Eigenständigkeit der Orgel zu thematisieren, indem sie auf freitragender Empore erschiene, und gleichzeitig zu groß, um ihre Gewichtigkeit mit einem soliden Unterbau zu unterstreichen.
So steht ein Koloss auf viel zu dünnen Beinen und wird vom wankenden Schiff bald zu Boden gestoßen.
Seit den 50er Jahren geht also zusätzlich zu der inhaltlichen Hegemonie der Orgel auch eine spürbare Bedrohung für den Raum aus: Sollte sich das Publikum von der im prekären Gleichgewicht gehaltenen Königin der Instrumente abwenden, stürzte sie haltlos auf es nieder und risse es mitsamt des ganzen Baus furiengleich in die Saline.
Von der Hallenkirche zur Konzerthalle?
Die Orgel begründet also die Berühmtheit der Kirche und bedrängt ihren Status als solche.
Dieser Widerspruch lastet auf der Gemeinde:
Die kantoriale Fraktion nimmt an, mit dem Ende der Setzungen sei man nun alle Probleme los und feiert dies mit obskuren Lichtinstallationen.
Der Mangel an Licht wird wohl erkannt, allein - wer in der Lage sei, ihn zu beheben, bleibt hier verborgen.
Die Hervorhebung des Volumens jedenfalls schwächt die religiöse Konzeption um ein Weiteres, da sie –die Konzeption- mit dem Altar weiterhin im Dunkeln bleibt.
So läuft man Gefahr, die Kirche zum Konzerthaus zu degradieren und damit schlussendlich auch die Kirchenmusik zu profanieren.
Die fortschreitende Profanierung verspürt die klerikale Fraktion natürlicherweise sehr viel schmerzlicher, aus unerfindlichen Gründen aber greift auch sie zur Eventkultur als vermeintlichen Retter:
Der CDU-Landtagsabgeordnete Bernd Althusmann , Sohn eines ehemaligen Pfarrers von St.Michaelis, will Teile der Goldenen Tafel - den ehemaligen Michaelis-Altar- nach Lüneburg zurückholen. (21.02.2008 im Hamburger Abendblatt)
Die St. Michaelis Kirche einem Museum anzugleichen und dabei Aufklärung und Reformation zu desavouieren, erfreut evtl. die katholische Konkurrenz , verhinderte aber nicht ihre Entweihung, sondern triebe sie voran.
Das doppelte Gleichgewicht
Es soll versucht werden, ein symbolisches Gleichgewicht von Konzeption (Altar), Vernunft (Kanzel) und Emotion (Orgel) der Krängung des Schiffes entgegenzustellen um damit den Entwurf des Menschen seiner selbst im Streit und im Einklang mit höheren Gesetzen als geschichtlichen Prozess darzustellen, ohne dabei eine Epoche als dessen Ende zu hypostasieren:
Der Innenraum bleibt schlicht, die Farbe wird zurückgenommen; die gebannte Katastrophe bleibt ihm dabei ablesbar.
Die erwähnten Elemente erscheinen hervorgehoben:
Der Altar entspricht seiner Funktion nicht und ist als Ort der Gegenwart Gottes von in seiner Ausführung zu finster. Hierzu der Entwurf eines neuen Altares. Der bauliche Rahmen ist ebenfalls zu überdenken.
Die Orgel hat ihre herausragende und eigenständige Stellung im Kirchenalltag, ihr baulicher Rahmen repräsentiert diese nur unzureichend. Hierzu der Entwurf zum neuen Unterbau.
Die Kanzel ist ihrer Funktion nach am richtigen Ort in adäquater Ausführung.